Mittwoch, 8. April 2020

CD-Review: Wigrid "Entfremdungsmoment"

Ich glaube ich habe bisher keinem anderen Album so viele Durchläufe vorab gegeben bevor ich es rezensiert habe wie dieses hier. Allerdings ist "Entfremdungsmoment" auch alles andere als die übliche Black-Metal-Kost. Bereits seit September 2019 liegt das dritte Album von WIGRID bei mir herum und ich hatte es in dieser Zeit einfach nicht geschafft diese Promo zu rezensieren. Wieso und warum sollt ihr in dieser Folge erfahren.
Ehrlicherweise habe ich die sechs Titel schlichtweg vergessen und lange Zeit im Mp3-Ordner meines Smartphones schlummern lassen. Vor einigen Wochen ist mir das Werk allerdings wieder durch Zufall ins Auge gefallen. "Hatte ich diese Scheibe eigentlich schon rezensiert?", ging es mir bei diesem Fund durch den Kopf. Nein, das hatte ich noch nicht, also habe ich direkt noch einmal reingehört. "Komisch, das klingt
wirklich spannend - wie konnte ich das Teil vergessen?", schoss es mir erneut durch den Kopf und Sofort nahm ich mir vor darüber zu schreiben. "56 Minuten Spielzeit verteilt auf ein halbes Dutzend überlange Tracks - das ist sperrig, aber auch herausfordernd", waren meine nächsten Gedanken zu diesem Dreher. Jedoch fiel mir die redaktionelle Einordnung dann doch schwerer als gedacht. Die Kompositionen von Solomusiker Ulfhednir sind unheimlich vielschichtig. Hier ein wenig verzweifelter Black Metal mit entfernten LoFi-Schreien und dort eine Menge Dark Ambient. Das alles wird auf eine interessante Art und Weise miteinander verwoben und gegenübergestellt. Die metallischen Passagen kommen sehr breitwandig daher, während die die elektronischen Anteile geradezu zerbrechlich minimalistisch wirken ohne dass es sich unstimmig anfühlt. Es gibt in den heutigen Zeiten unheimlich viele Ein-Mann-Projekte, die sich an ähnlichen Strukturen versuchen, allerdings gelingt es nur wenigen Klangkünstlern einen so stimmigen Verlauf zu kreieren. Vor allem deswegen weil man Geduld beweisen muss - sowohl beim hören als auch beim Komponieren. Man haut dem Hörer nämlich nicht einfach mal elf Minuten repetitive Sound-Muster um die Ohren, ohne Gefahr zu laufen damit zu langweilen. In 'Lebenserfahrung' funktioniert aber genau dieses Kunststück, nur um dann mit dem Titeltrack zu einem furiosen Finale anzusetzen, das natürlich auch wieder von verschiedenen Akten der Raserei, der Ruhe und Manie gekennzeichnet ist. Besonderes Lob verdient dabei die Melodiearbeit - denn die verschiedenen Motive bleiben im Kopf hängen und machen Lust auf mehrere Durchläufe. Hier schlagen sich über 20 Jahre (!) Banderfahrung und die Arbeit des einzigen Mitglieds in den unterschiedlichsten Metal- und Punk-Formationen in einem furiosen Werk nieder.
Wieso hat es also dann so lange gedauert, bis ich es geschafft habe "Entfremdungsmoment" einen Besuch abzustatten? WIGRID ist einfach nicht direkt greifbar. Es sind so viele unterschiedliche Facetten enthalten, dass man am liebsten den Opus von Minute zu Minute durchgehen möchte, was natürlich dieses Review-Format sprengen würde. Versuchen wir uns trotzdem an einem Fazit: wenn ihr XASTHUR, COLDWORLD und TOTALSELFHATRED auf einem Album vereint sehen wollt, dann holt euch diese Scheibe. Und wenn ihr mir nicht glaubt, dann hört auf Ernie von Krachmucker TV, der diese Platte in seine Top-Alben 2019 aufgenommen hat.
Seit 11.09.2020 gibt es das Album als CD, Tape oder Download bei Bleeding Heart Nihilist Productions.

9 von 10 Punkten

[Adrian] 

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