Sonntag, 12. März 2023

CD-Review: TIR "Awaiting The Dawn"

 

Dungeon Synth ist ja seit geraumer Zeit wieder in aller Munde. So natürlich auch in der (Black) Metal-Szene. Wer dort unterwegs ist kommt an den Vorreitern des Genres wie MORTIIS, SUMMONING, THANGORODRIM, WONGRAVEN aber auch die unmetallischen Alben von BURZUM ("Dauði Baldrs" / "Hliðskjálf") nicht vorbei – und ja, wir alle wissen um die nicht unproblematische Handhabe mit Varg Vikernes‘ Band [Anmerkung der Redaktion: allein seine offiziellen Beweggründe von Metal auf Ambient umzusteigen waren ziemlich problematisch]. Fakt ist aber, dass er die Szene bis heute nachhaltig musikalisch geprägt hat. Unabhängig von seinem geistigen Durchfall den er von sich gibt. All diese genannten Bands dienten als Inspiration für das Dungeon Synth / Darkfolk – Projekt TIR und dessen Kreativkopf Oytun Bektaş, der ursprünglich aus der Türkei stammt, aber nun seit einiger Zeit in Australien lebt. Nach dem Output  "Persepolis" von 2021 welches noch vergleichsweise wenig Folkelemente enthielt und der gleichnamigen antiken Stadt im Iran gewidmet war, die Oytun Bektaş besuchte, erscheint nun am 7. April das neueste Werk "Awaiting The Dawn".
Hier treten die Synthies hörbar in den Hintergrund und überlassen den Löwenanteil der Akustikgitarre. Was für TIR gleichermaßen eine konsequente Weiterführung des Projekts als auch einen Pfad zu neuen Ufern bedeutet. Denn TIR hat sich prominente Unterstützung geholt. Die sonst meist rein instrumentalen Songs bekommen nun auch Gesang beigesteuert. Und zwar von niemand geringerem als Thomas Helm von EMPYRIUM, NOEKK oder ORTNIT. Gemixt und gemastert wurde das ganze auch von keinem Unbekannten – nämlich Markus "Schwadorf" Stock von EMPYRIUM, SUN OF THE SLEEPLESS, THE VISION BLEAK. Mit ihm ist Oytun Bektaş schon seit geraumer Zeit musikalisch als auch freundschaftlich verbunden. Dies zeigt sich an der gemeinsamen Liebe zur Region in der Rhön, welcher Oytun Bektaş sogar einen eigenen gleichnamigen Song gewidmet hat (zu hören auf dem 2020er Output von TIR namens "Nigritude"). Gleich zu Beginn setzt Thomas Helm beim Eröffnungssong 'C'est La Fin (part 1)' durch seine

unverkennbare Stimme besondere Akzente. Eine zart gespielte Gitarre mit Synthiestreichern erzeugt eine traurig schöne Stimmung. "Kveldssanger" von ULVER mit einer Prise Dungeon Synth könnte man meinen. Dann setzt Thomas Helm mit seinem sonoren Gesang ein und umschmeichelt einen sogleich mit einem Text in französischer Sprache. 'C'est La Fin' – ("Das ist das Ende"), doch wovon? Dies vermag ich nicht rauszuhören, da ich leider kein Französisch spreche. Der warme Klangteppich, den TIR hier ausbreitet setzt sich mit 'Where Shadows Dance (part 2)' und 'The Mists of the Eternal Meadow' fort. Choraler Gesang gleitet in ruhige Gitarrenparts die mit Samples von Bachplätschern und Vogel - Gezwitscher unterlegt sind. Bei 'In the Essence of Dying' gibt es wieder etwas mehr Dungeon Synth – Anteil mit gesprochenem Text und fast orchestralen Elementen. Verträumte Gitarre gesellen sich dazu, der Hörer fühlt sich nahezu in eine Art Traum oder Vision versetzt. Bis er schließlich daraus erwacht und das Ohr wieder von einer gefühlvollen Akustikgitarre umschmeichelt wird. Ein perfekter Kandidat für ein Filmmusikstück! Der Übergang zu 'A Letter Hooked To The Cloud' kommt gar sehr schwermütig daher. Tief gestimmte Klaviertöne unterlegt mit Synthie-Streichern verbreiten auch hier wieder eine traurig schöne Stimmung mit Gänsehautfaktor. In 'Threads Of Time' erinnert der Einstieg stark an OF THE WAND AND THE MOON. Dazu gibt es wieder eine wunderbar entspannte Mischung aus zurückhaltender Akustikgitarre, gepaart mit der eindringlichen Stimme von Thomas Helm. Dezente Synthies runden das ganze harmonisch ab. Mein persönlicher Favorit auf dem Album. Bei 'An Unspoken Lament' gibt es Klavier mit Hornbläsern (!) und den typischen Dungeon-Synthsizern, die aber nie Überhand nehmen. Zusammen erzeugt der Track eine sphärische Atmosphäre, die den Hörer abermals in eine Art Traumzustand versetzt. Die dramatisch einsetzende elektronische Violine hält einen quasi darin fest bis die Sequenz durch die "erlösende" Akustikgitarre den Hörer wieder zurückholt. Ganz großes Kino! Und nachdem man bei 'The Path Of The Dandelion Seed' wieder Samples aus Bachplätschern und Vogelgezwitscher als "kleine Erholung" zu hören bekommt, geht es nahtlos zum letzten Song 'Farewell Ballad'. Hier überwiegt wieder Dungeon Synth-Anteil und die Gitarre kommt nur fragmentweise zum Vorschein. Mit klagenden Synthies die langsam wabernd dahingleiten lässt TIR fast buchstäblich die Sonne aufgehen. Hier wird im Finale der Albumtitel zum Kopfkinoprogramm!

Mit "Awaiting The Dawn" hat sich TIR konsequent weiterentwickelt ohne jedoch die Wurzeln des vorher musikalischen Schaffens zu vernachlässigen. Hier erwarten den geneigten Hörer, der sich gerne mal etwas Entspannung gönnen möchte eine hervorragende Melange aus Darkfolk und Dungeon Synth mit einer Prise mittelalterlicher Klänge. Oytun Bektaş führt uns hier auf eine mystische Traumreise wo jeder Baum, jeder Stein und jedes Rauschen des Baches eine eigene Art von Musik erzeugt. Zusammen mit dem naturpoethischen Artwork schon jetzt eins der musikalischen Highlights 2023. Fans von EMPYRIUM, TENHI, ULVERS’s "Kveldssanger" oder VALI können bedenkenlos zugreifen.

9 von 10 tanzenden Schatten

[Chris]

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