Sonntag, 8. Januar 2023

Unerhört: Wintergrau "Nordwärts"

Frakturschriftzug. Eine Waldlandschaft in Schwarzweiß. Und irgendwas mit Winter und Norden im Namen. Da muss man kein Genie sein, um direkt zu erkennen, dass es sich um Black Metal handelt. WINTERGRAU ist ein relativ neues Ein-Mann-Projekt, das sich mit seinem Debüt "Nordwärts" anschickt den ohnehin schon völlig überlaufenen Markt des rohen, atmosphärischen Schwarzmetalls um eine weitere Scheibe zu bereichern. Ist das Kunst oder kann das weg? Lasst es uns gemeinsam herausfinden. Spoiler: es kann weg!
Ich bin nämlich schon extrem voreingenommen, bevor ich den ersten Ton höre und lediglich den Promo-Zettel lese. Denn mit Astro steckt hinter diesem Projekt ein alter Bekannter aus Bremen. In der Vergangenheit hatte ich schon Bekanntschaft mit seinem Schaffen bei ALLER STERNE UNTERGANG machen dürfen und das war nun überhaupt nicht mein Fall. Allein schon dass er mit genannter Band sechs Alben in drei Jahren rausgehauen hat spricht leider dafür,

dass er Quantität über Qualität stellt. Es ist immer das Gleiche: gute Ansätze sind vorhanden und dem Musiker dahinter komplette Talentfreiheit zu unterstellen würde auch zu weit gehen, aber es hapert einfach am Feinschliff. Und ja, auch im Raw Black Metal bedarf es einer gewissen Feinarbeit und einem kompositorischen Reifeprozess. Leider fehlt beides aber auch bei WINTERGRAU. Ich möchte dem Norddeutschen jedoch zu Gute halten, dass er hier deutlich straighter zur Sache geht als bei genanntem Hauptprojekt und man hier weniger hart vor den Kopf gestoßen wird, was stilistische Querschläger angeht. Es ist der Spirit der 90er Jahre zu erkennen und man zieht alle Register was verwaschene Riffs und keifende Vocals angeht. Allerdings wirken die Riffs in der Summe so schief und unrund, dass man das selbst mit dem größten Wohlwollen nicht mehr als Hommage an die norwegischen Klassiker durchgehen lassen kann. Da helfen auch keine Samples aus der Klischee-Kiste á la katholische Sonntagsmesse, Kinder-Sing-Sang und der obligatorische Dungeon Synth. Ebenfalls gnadenlos abgedroschen sind die Song-Titel. Selbst ein Chatbot von 2009 käme mit kreativeren Liedernamen als '
Sturm', 'Kirchenbrand' oder 'Kälte' um die Ecke, was mir persönlich ja noch fast egal wäre, wenn die musikalische Qualität passen würde, aber gerade das letztgenannte Stück 'Kälte' klingt wie absolute Antimusik und ich weiß nicht wieso man so etwas überhaupt veröffentlicht. 
Im Ernst, ich weiß nicht was ich hierzu noch sagen soll. Nachdem ich letztes und vorletztes Jahr jeweils versucht habe mit ALLER STERNE UNTERGANG warm zu werden und gescheitert bin, hatte ich ja noch die Hoffnung, dass es bei WINTERGRAU dieses Mal in eine andere Richtung geht beziehungsweise dass man einen Neustart wagt. Aber Nein! "Nordwärts" klingt wie der übliche Schnellschuss von Astro, den ich mir jetzt einmal zu oft anhören musste. Solchen Black Metal haben meine Freunde und ich auch produziert als wir noch jung und unbedarft waren und gerade extremen Metal entdeckt hatten. Man hockte sich alleine oder zu zweit in den Keller der Eltern, kloppte in einem Nachmittag drei Songs zusammen und haute das Ganze online, damit man sich gegenseitig sagen konnte wie sehr man es doch drauf habe. Diesen Bonus kann man aber nach so vielen Releases bei Astro nicht mehr gelten lassen. 
Mein Tipp ist deswegen: lieber ein paar Jahre nichts veröffentlichen und die Zeit dafür nutzen um Songs zu schreiben, die tatsächlich Hand und Fuß haben. Bei der Masse an Black Metal Releases, die jede Woche auf die Welt losgelassen werden, wird man mit ein paar faden BM-Jam-Sessions nämlich keinen Schwarzheimer hinter dem Ofen mehr hervorlocken können.
Wer sich den Mix dennoch geben möchte, hat seit dem 07.10.2022 auf Bandcamp die Chance dazu.

[Adrian]


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