Samstag, 2. Juli 2016

Editorial: Was kommt nach Metallica und Iron Maiden?

Es ist ein viel diskutiertes Thema: Wird es auch in Zukunft Hardrock- und Metal-Titanen geben, wenn die alten Ikonen abtreten? Das ist eine Frage, die Metaller und Musikfreunde schon seit Jahren umtreibt. Allerdings fällt diese Frage in jene Kategorie, bei der man nur selten in eine tiefere Diskussion einsteigen kann. Zu schnell ist man dabei zu sagen, dass es Bands wie METALLICA oder IRON MAIDEN so nicht mehr geben wird. Immerhin sei alles schon einmal da gewesen und die Szene ist zu sehr zerklüftet, um Gräben zwischen Fans von Extreme Metal beziehungsweise melodischem Hardrock noch zu überwinden - aber ist das wirklich so? Wir versuchen in der Folge zu klären, welche Umstände zusammenkommen müssten und welche fünf Eigenschaften eine Band heute mitbringen sollte, um die höchsten Höhen des Stromgitarren-Olymps zu besteigen.


#1 Musik für die Massen
Es klingt trivial - aber es ist dennoch nicht selbstverständlich. Viele Bands
Volbeat - Erfolg durch ein Stilmix
machen keine Musik um berühmt zu werden, sondern spielen Musik für gewisse Szenen und wenn es es sonst noch jemandem gefällt, dann ist das ein netter Nebeneffekt. Das ist ehrlich, authentisch und im Grunde auch gut so. Immerhin hat sich unser Magazin genau diesem Untergrund verschrieben. Aber Szenen haben leider in diesem Fall den Nachteil, dass sie zu sehr im eigenen Saft schmoren. Black Metal für Schwarzheimer, Heavy Metal für
Old-Schooler und Thrash Metal für Kuttenträger - lässt man sich von den herrschenden (ungeschriebenen) Szene-Kodizies zu sehr einschränken (frei nach der Devise: "Szenepolizei is watching you"), brät man für immer im eigenen Saft und läuft Gefahr auf der Stelle zu treten. Um einer von den ganz Großen zu werden, kann es sich also lohnen verschiedene Stile zu mischen und Grenzen aufzubrechen. Vor einigen Jahren bereits konnten zum Beispiel die Dänen von  VOLBEAT (unabhängig was man von ihrer Mischung aus Rockabilly und Metal hält) damit vom Geheimtipp zum Rock-Am-Ring-Powerhouse aufsteigen.

#2 Auffallen durch Optik
Die Musik muss stimmen. Das ist natürlich die Grundvoraussetzung, aber auch die Optik muss passen, damit die Musikwelt zuhört. KISS zum Beispiel haben richtig gute Lieder geschrieben, aber wo wären sie ohne ihre legendären Outfits und Gesichtsbemalungen gelandet? Dass sie zwischenzeitlich ohne Schminke unterwegs waren, aber dann doch zu ihren Wurzeln zurückgekehrt sind, ist Beweis genug wie sehr das Auge  mithört. Das klingt erst einmal oberflächlich - aber es war ein großes Thema in den
Lordi gewinnen den ESC 2006
Neunzigern als die Mitglieder von METALLICA anfingen mit kurzen Haaren herumzulaufen. Wollte man sich damit bewusst vom unpopulär gewordenen Heavy-Metal-Sound der 80er  distanzieren und besser zur Musik von "Load" und "Reload" passen? Oder wollte man sich nur neu erfinden? Keine Ahnung. Klar ist aber, dass sie damit ein Statement gesetzt haben, dass auch die Wahrnehmung ihrer dauerhaft Musik verändert hat. 
Aber kommen wir zurück zum eigentlichen Kern. Ein aufwändiges Outfit oder Kostüme mit Trademark-
Grammy für Ghost - trotz oder
wegen der Masken?
Charakter können dabei helfen die eigene Musik besser zu vermarkten. Die Schweden von GHOST zum Beispiel spielen eine sehr gute Version des okkulten Retro-Rock, der gerade in aller Munde ist, aber die Aufmerksamkeit, die ihnen zurzeit geschenkt wird, verdanken sie nicht zuletzt auch ihren Kostümen und dem Mythos, den sie um die Band aufgebaut haben. Auch LORDI hätten es wohl etwas schwerer gehabt den Eurovision Song Contest 2006 zu gewinnen, wenn sie nur mit T-Shirts und Jeans auf die Bühne gekommen wären.

#3 Live Shows
In einer Zeit, in der der Erwerb von physischen Tonträgern eigentlich nur noch von echten Sammlern zelebriert wird, ist es wichtig vor allem live präsent zu sein. Natürlich muss man immer den schmalen Grat zwischen Hans-Dampf-in-allen-Gassen und Übersättigung beachten. Wenn man an jeder Steckdose spielt, haben die Fans auch die beste Kapelle irgendwann über und lassen sie links liegen. Wie schnell das passiert hängt auch davon ab, was man den Zuschauern auf der Bühne bietet. Vier zottlige Typen, die ohne Ansagen ihr Set runterspielen, kann zwar funktionieren (gerade im Metal Underground laufen viele Konzerte so ab), aber um groß zu werden, muss man sich dann doch stärker emanzipieren und versuchen eine individuelle Show abzuliefern, die jeder unbedingt gesehen haben muss. 

Meister in dieser Disziplin sind sicherlich die Berliner von RAMMSTEIN. Man hört vielerorts von Normalos und Metaller, die eigentlich nicht viel mit den Schockrockern anfangen können, das sie sich zumindest einmal eine Live-Show der NDHler anschauen würden, weil man hier etwas geboten bekommt, was man so nirgendwo sonst findet. Feuer, Spezialeffekte und opernhafte Inszenierung bieten in dieser Form tatsächlich nur die deutschen Industrial-Metaller. Mit der Musik alleine würden sie zwar immer noch relativ bekannt sein, aber niemals so sehr in den Mainstream hineinragen, wie sie es Dank ihrer Performance tun.

#4 Marketing
Wenn man bei den beiden letzten beiden Punkten gut ist, dann hat man eine sehr gute Grundlage für das persönliche Marketing gelegt. Viele Bands und Szenegänger rümpfen bei diesem Punkt die Nase. Marketing? Das klingt nach
Nutzen unter anderem Snapchat:
Eskimo Callboy
Kommerz! Das klingt nach kapitalistischen Major Labels, die von seelenlosen, fetten Halbglatzen regiert werden, denen es nicht um die Musik geht. Allerdings ist es heute nicht mehr nur die Sache von Labels und Managern Künstler bekannt zu machen. Soziale Medien machen es möglich seine Zielgruppe einfach und schnell selbst zu informieren und auch ohne MTV (es ruhe in Frieden) kann man via YouTube seine Musikvideos an den Mann bringen. Um so professioneller und ernsthafter man diesen Punkt betreibt, um so eher haben die potentiellen Fans offene Ohren. Gerade junge Leute erreicht am Besten über digitale Kanäle und dabei gilt immer: auffallen. Musikvideos müssen hochwertig, clever und außergewöhnlich sein. Einfallslose Bandfoto- und Artwork-Kollagen gehen dabei gar nicht. Schaut man sich nach Best Cases um - landet man häufig bei Modern Metal- und Core-Truppen. Egal wie man zu Acts wie ESKIMO CALLBOY steht, man muss anerkennen, dass sie es schaffen die neuen Medien sehr effizient für sich zu nutzen. Natürlich gehört zur Bandvermarktung auch noch eine Menge mehr dazu (Networking, Produktgestaltung, etc.), aber das würde den Rahmen sprengen.

#5 Die Zeichen der Zeit
Hinter diesem kryptischen Bulletpoint verbirgt sich das gesellschaftliche Umfeld. Was heißt das? Holen wir dazu etwas aus. Rock und Metal waren immer dann
IRON MAIDEN: keine Freunde von Thatcher
am stärksten, wenn die Welt um uns herum verrückt zu werden drohte beziehungsweise rechte, restriktive Kräfte an der Macht waren. Denken wir nur an Margaret Thatcher oder Ronald Reagan, die mit ihrer Politik ein Klima geschaffen haben, dass 
bei jungen Leuten zu Unzufriedenheit und Ablehnung der alten Strukturen geführt hat. In dieser Zeit konnten NWoBHM und Bay-Area Thrash besonders gut gedeihen und waren Ausdruck einer wütenden Generation. Heutzutage findet man allerorts fast nur dröge Pop-Musik oder hirnlose YouTube-Stars, die sich Cremes zwischen die Backen schmieren. Ganz nebenbei werden aber populistische und rechts-konservative Kräfte wieder stärker und drehen in Staaten wie Polen oder Russland die Uhren der Geschichte zurück und machen es Bands wie zum Beispiel BEHEMOTH oder BELPGEHOR schwer in ihren Ländern aufzutreten. Rassismus, Homophobie und Sexismus sind wieder auf dem Vormarsch - wäre es da nicht logisch, dass Metal und (harter) Rock erneut eine Schlüsselrolle einnimmt und sich eine spezielle Band herausbildet, die zum Sprachrohr der Jugend wird? 

Es viele Gründe und Ansätze warum es auch nach METALLICA und IRON MAIDEN weitergehen wird mit den großen Bands. Denn bei aller Zersplitterung und Abgrenzung voneinander, gibt es Grundelemente im Metal, die alle Liebhaber harter Musik ansprechen können und dazuführen mögen, dass auch in Zukunft genreübergreifende Metal-Bands geben wird,  in den popkulturellen Mainstream vordringen können. Es ist schwerer geworden und die Zeiten haben sich geändert, aber im Endeffekt muss es nur einen Newcomer geben, der es schafft die genannten Faktoren so zu nutzen, dass er am Ende selbst zur Ikone wird. Und wer weiß, vielleicht entwickelt daraus wiederum eine ganze Reihe neuer frischer Megastars. Es gibt also genug Gründe optimistisch zu sein.

[Adrian]

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