Montag, 18. Juni 2018

Unerhört: Brave, neue Welt - die gezähmte Szene?

Ich sitze an der Tastatur und überlege, was ich schreiben soll. Ich habe heute mal keine Lust in ein Album reinzuhören oder ein Konzert zu besprechen. Heute hätte ich Lust auf etwas anderes. Ich würde euch gerne einen Aufreger präsentieren. Ich suche nach einer interessanten Meldung aus dem metallischen Paralleluniversum, die es Wert ist erwähnt zu werden. Eine Black-Metal-Band, die strenge Christen schockiert, Thrasher, die sich auf einer Tour völlig daneben benehmen oder Goregrinder, die auf die Bühne kacken - solche Sachen liest man einfach nicht mehr. Ist der Metal etwa zu brav geworden?

Versteht mich nicht falsch. Ich verlange nicht, dass wir zu Zeiten zurückkehren,
Zitat von Lemmy Kilmister
(Quelle: quotefancy.com)
wo norwegische Milchbubis Kirchen anzünden oder sich gegenseitig abstechen. Ich brauche auch keinen David Vincent, der sich in den 90ern als Pseudo-Rechtsextremer inszenieren muss. Allerdings fällt es auf, dass kaum noch eine Band gibt, die weniger als 20 Jahre auf dem Buckel hat und aufregende Anekdoten zu erzählen hat. Während ein Lemmy noch Drogen für Jimi Hendrix besorgt oder Ozzy kleinen Säugetieren den Kopf abgebissen hat, ist man heute schon verstört, wenn eine Band kein Facebook-Profil hat - diese Rebellen! Interviews in Metal-Magazinen haben mir früher eine Menge Spaß gemacht. Abseits vom PR-Geblubber ("das aktuelle Album, ist das beste, was wir je aufgenommen haben. Bla Bla Bla") sind es doch Tour-Geschichten und anarchische Ausfälle, für die man sich interessiert. Davon ist aber nicht viel geblieben. Jeder versucht sich nur noch korrekt und angepasst zu geben, und niemandem auf den kleinen Zeh zu treten. 
Es mag ein allgemeiner Trend sein, dass es schwer geworden ist zu provozieren -
Campino, Foto: Wikipedia
man muss sich allein die müssigen Diskussion um die Echo-Verleihung anschauen. Hier stellt sich ein Alt-Punk auf die Bühne und erklärt völlig ironiefrei wie weit Provokation gehen darf (ich erinnere an die TOTEN HOSEN Zeile: "Der Sascha, der ist arbeitslos,
Was macht er ohne Arbeit bloß? - Er schneidet sich die Haare ab
Und pinkelt auf ein Judengrab"). Im Grunde ist das ein Widerspruch an sich. Denn entweder ist man ehrlich zu sich selbst und erklärt rebellische Musik offiziell für tot oder man hält auch Sachen aus, die man selbst als geschmacklos empfindet. Persönlich finde ich zum Beispiel viele Brutal-Death-Metal- oder Grindcore-Artworks, die Frauenmord propagieren wirklich grenzwertig. Ich würde allerdings deswegen keine öffentliche Kampagne gegen WHORETOPSY oder CANNIBAL CORPSE wegen Sexismus starten. Die Gesellschaft ist aktuell furchtbar schnell empört und Shitstorms sind heute schneller verursacht als man Hashtag sagen kann, woraus ein vorauseilender Gehorsam entstanden ist, der dem künstlerischen Schaffen nicht gut tun kann. Denn es gibt nicht schlimmeres als die Schere im Kopf, die Kreativität im Keim erstickt. Warum? Schaut euch die (deutschen) Charts an, dann wisst ihr warum. Heile-Welt-Schlager und Deutsch Pop ohne Ecken und Kanten regiert seit Jahren die musikalische Landschaft und alles wird so werbefreundlich und leicht verdaulich präsentiert, dass man die ganzen Tim Bendzkos und Beatrice Eglis nicht mehr auseinander halten kann. 
Eigentlich wäre der Rock oder der Metal die perfekte Gegenbewegung dazu. Liedzeilen wie "Fuck you, I won't do want you tell me" hört man aber leider fast nur noch auf Ü30-Partys und nicht auf Schulhöfen, wo man lieber "Obey"-Shirts trägt. Das ist allerdings ein ganz anderes Thema, das man bei Gelegenheit besprechen sollte. 
Mehr zum Thema mit dem Goreminister

Im Grunde ist die Zeit nämlich reif, dass es eine Stromgitarrenband mal wieder so richtig auf die Kacke haut und sich gegen diese Konformität stellt. Denn ohne Rebellen, die zeigen dass man nicht den Weg gehen muss, den alle anderen gehen, verliert eine Gesellschaft ihre Innovationskraft. Aber so pathetisch müssen wir gar nicht werden. Allein um das Fortbestehen und die Relevanz der Metal-Szene zu sichern, braucht es Charakterköpfe, die auch mal den Mittelfinger zeigen, ohne sich nachher zigmal dafür zu entschuldigen. Und noch einmal: es geht nicht darum ein Arschloch zu spielen, sondern gradlinig und authentisch zu sein.  Allein dadurch würde es in der Szene wieder mehr zu berichten geben und sie würde auch wieder neue, spannende Musik hervorbringen.
In diesem Sinne: Make Metal Dangerous Again.

[Adrian]

1 Kommentar:

  1. Da kann ich dem geneigten hörer / zuschauer nur wärmstens den loken underground empfehlen. Wer mal wieder nen 10er sinnvoll investieren will der geht in die kleenen clubs und zieht sich z. b. BLOW OUT aus ffm oder LEGAL HATE aus spachbrücken rein. Da gibts noch blut, spucke, bier, ehrlich eins auf die fresse (musikalisch) und höllenspass \m/ support your local scene

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