Donnerstag, 10. Juni 2021

LP-Review: Six Days Of Calm "The Ocean's Lullaby"

 

Zum ersten Mal in ziemlich genau fünf Jahren und zum zweiten Mal überhaupt mache ich auf diesem Blog ein LP-Review! Der Grund ist ganz einfach, ich schreibe selten Rezensionen zu Schallplatten, die ich mir selbst kaufe (dafür ist der Promo Pile Of Shame viel zu hoch) und zum anderen bekomme ich extrem selten Vinyl von Bands einfach so zugesendet. Verständlich immerhin waren die großen Kunstoffscheiben lange Zeit in der Nische verschwunden und zum anderen sind sie die einzelnen Tonträger in der Produktion auch zu teuer um sie jedem dahergelaufenen Musikschreiberling in die Pfoten zu drücken ohne überhaupt sicher sein zu können, dass ein Feedback zurückkommt. Umso mehr freut es mich, dass Marc Fischer von SIX DAYS OF CALM mir sein Doppel-Debütalbum "The Ocean's Lullaby" zugesendet hat.
"Moment SIX DAYS OF CALM? Das klingt doch wie 65DAYSOFSTATIC", denkt sich vielleicht der eine oder andere Leser. Keine Ahnung, ob sich das wirklich jemand denkt, aber mir kam der Gedanke auf jeden Fall. Denn ähnlich wie die Band vom "No Man's Sky"-Soundtrack handelt es sich auch hier um Postrock. Die etwa 51 Minuten Spielzeit verteilen sich hier auf zwei sehr schöne aufgemachte Vinylscheiben (entweder im bereits ausverkauften Farbton "Blue Marbled Transparent" oder in der noch erhältlichen "Bluish Grey Opaque"-Version, die auch mir vorliegt). 

Alle Seiten enthalten jeweils ein bis zwei Songs, was beim erwähnten Genre kein Wunder ist, denn die atmosphärischen Tracks sind meistens etwas länger. Fünf Minuten Spielzeit sind da eher die Ausnahme und mehr als zehn Minuten keine Seltenheit.  Allerdings macht das bei dieser Art von Musik auch auf jeden Fall Sinn. Wer sich mit Postrock nicht auskennt wird sich vielleicht wundern, dass es so überhaupt keine Vocals gibt und dass man sich wirklich sehr viel Zeit nimmt um eine Atmosphäre aufzubauen, die an den Soundtrack eines experimentellen Arthouse-Films erinnert. Vorab einfach mal online sich durch die Lieder klicken ist hier der falsche Ansatz. Man muss sich das Album in Gänze von Anfang bis Ende vornehmen und sich auf diese akustische Erfahrung einlassen. Über weite Teile des Albums geht man extrem minimalistisch zur Sache und hört sphärische Klänge mit nur dezenter Percussion, die sich dann allerdings beginnen zu erheben und ähnlich wie ein Wolkenhaufen langsam auftürmen, um in gelegentlichen Eruptionen zu kollabieren - wie dem ersten Track der zweiten Scheibe 'Obscure', der im krassen Kontrast zum Material der ersten drei Tracks steht. Hier passiert direkt zu Anfang viel mehr als bei den bisherigen Titeln und es wird geradezu etwas "rockig" (na ja, sagen wir vielleicht lieber Doom-metallisch). Besonders zu erwähnen ist aber auch der Rauswerfer 'The Final Notes', der eine unheimlich angenehme Melodieführung hat und viel zu schnell zu Ende geht. 
"The Ocean's Lullaby" schafft es, dass ich mich nach dem Verklingen der letzten Note wundere, wo denn bitte die Zeit geblieben ist. Im Ernst, das ist etwas, dass nicht jeder Release mit einer Spieldauer jenseits der 50 Minuten hinbekommt. SIX DAYS OF CALM erreicht es den Hörer auf eine musikalische Reise mitzunehmen, die dem eigenen Kopfkino ordentlich Futter gibt und das trotz minimalistischster Mittel sehr viel Abwechselung und Aha-Momente aufweist. Na klar, man muss offen für Postrock sein, wenn man Lust auf diese Scheibe haben will. Das ist klar. Wenn ihr eher auf Mischformen wie Postcore oder Post-Black-Metal steht, solltet ihr wissen worauf ihr euch hier einlasst. Das ist wirklich unverfälschter Postrock und da muss man Bock drauf haben. Wenn euch die Songs jedoch packen können, dann packen sie euch so richtig. Nach einem anstrengenden Tag kann ich mir kaum etwas besseres vorstellen als so ein Album. Das ist Balsam für die Seele, der unheimlich vom warmen Vinylsound profitiert und für Genre-Fans und solche, die es werden wollen, definitiv ein Pflichtkauf ist.
Einige wenige Vinyls können noch auf Bandcamp erstanden werden, wo das Album via Midsummer Records am 06.11.2020 erschienen ist.

 9 von 10 Punkten 

[Adrian]

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